Warum aber ist der Faden rot? Ich habe mich vergeblich bemüht, das herauszufinden. Es ist wohl so: Aus einem richtigen Labyrinth hilft ein Ariadne-Faden heraus. Bei intellektueller Konfusion empfiehlt sich ein roter Faden. Dieser rote Faden ist aber weder Faden noch rot, sondern eine Metapher. In der geschriebenen Literatur kommen Farbbezeichnungen fast ausschließlich als Metaphern vor. D.h. man sagt "rot", meint aber etwas anderes. Wenn Sie das noch nicht gemerkt haben, sehen Sie einmal in guter, bewährter Literatur nach: bei Homer, in der Bibel oder in Grimms Märchen. So sagt Goethe: "Grau, teurer Freund ist alle Theorie / Und grün des Lebens goldner Baum" (14) Das stellt man sich besser nicht in Farbe vor! Und Schiller sagt von "Der ersten Liebe goldne(r) Zeit": "O, daß sie ewig grünen bliebe..."(29). Die Zitate sollen beweisen, daß meine Behauptungen bis hierher richtig sind, daß ich Ihnen "keinen blauen Dunst vormache". Wenn ich nach der Methode der analytischen Philosophie (34) vorgehen und die Frage stellen wollte: "was meinen wir, wenn wir sagen 'Farbe'?" - dann würden die Antworten wegen des metaphorischen Sprachgebrauchs sehr kompliziert werden. Darum stelle ich diese Frage nicht.
Ich rede heute nur von dem seltenen Fall, in dem wir wirklich Farben meinen, wenn wir von Farben reden. Und auch dabei lasse ich noch die häufigste Wortbedeutung weg. Wir meinen ja meistens Farbstoffe wie mit den Worten "Farbenindustrie" oder "Künstlerfarben". Es tut mir Leid, daß ich die Farbstoffe ganz auslassen muß. Die Einschränkung bringt aber eine gewaltige Vereinfach ung. Was jetzt noch übrig bleibt, sind nur noch die Farbwahrnehmungen.
Trotz der Vereinfachungen will ich noch skizzieren, wohin der rote Faden führen soll. Vor 250 Jahren wurde Goethe geboren. Goethe hielt seine Farben lehre für sein wichtigstes Werk (10). Durch seine wissenschaftlichen Beiträge hat er noch heute, bald 200 Jahre nach seinem Tod, einen festen Platz in den wissenschaftlichen Handbüchern zur Farbenlehre. Wenige Wissenschaftler bringen es so weit. Besonders berühmt ist Goethe allerdings durch seine schroffe Ablehnung der Physik seiner Zeit geworden. Newtons Opticks (25) waren schon 1704 erschienen und allgemein akzeptiert. Goethe dagegen schrieb: "Wer aber das Licht in Farben will spalten / Den mußt du für einen Affen halten ..." (15). 200 Jahre lang haben Physiker von Rang, Philosophen und Germanisten wenigstens einmal in ihrem Leben einen Aufsatz über Goethes unnachvollziehbare Polemik gegen Isaac Newton geschrieben, oder wenigstens eine Festrede über sein rätselhaftes Verhalten von sich gegeben. Ich glaube, daß der Fortschritt der Forschung diesen Dauerbrenner der Literatur zum Erlöschen bringen wird. Ich hoffe, daß Sie am Ende meines Vortrags mit mir der Ansicht sind, daß Goethe, wäre er nur 200 Jahre später geboren worden, nicht in die Schwierigkeiten mit der physikalischen Optik geraten wäre. Durch unsere Kenntnisse wird der Graben über den Abgrund zwischen der Physik einerseits und den Farbwahrnehmungen andererseits überbrückt. Die Dinge hängen viel dichter zusammen, als man zu Goethes Zeit wissen konnte. Die Zusammenhänge zwischen physikalischen, neurophysiologischen, psychologischen und molekularbiologischen Aussagen über Farben sind das Thema dieses Vortrags. Soviel zum roten Faden.
Vorübung
Wie in der Farbenlehre alles zusammenhängt, soll mit Hilfe der Abb.1 diskutiert werden. In der Mitte steht die Farbe, um die es geht. Darum herum stehen die Namen der wissenschaftlichen Zugänge zu den Farben. Beginnen wir mit der Physik. Hier muß ich nicht erklären, daß die Abfolge der Farben im Spektrum etwas mit der Frequenz und der Länge elektromagnetischer Wellen zu tun hat. Ich setze auch als bekannt voraus, daß man zur Farbwahrnehmung Augen und Gehirn benötigt. Die Empfindlichkeit der Sinneszellen in den Augen bestimmt, was ein Farbreiz werden kann. Wir beschreiben ihn als eine spektrale Strahlungsleistungsverteilung. Die Basis des Dreiecks mit Physik und Neurophysiologie wird durch die Sinnesphysiologie verbunden. Bis hierher gibt es noch kein Problem.
Komplizierter wird es, wenn wir die Farbwahrnehmung miteinbeziehen. Was ich wahrnehme, können Sie nicht wissen, auch nicht messen. Sie müssen mich fragen. Somit kommt allen Wahrnehmungen, auch den Farbwahrnehmngen, ein subjektiver Charakter zu. Die wissenschaftliche Untersuchung der Wahrnehmung ordnen wir der Psychologie zu. Die Verbindung zwischen Spitze und Basis, zwischen Wahrnehmung und meßbaren Größen der Naturwissenschaft, nennt man auf Vorschlag des universalgelehrten Physikers Gustav Theodor Fechner seit 140 Jahren Psychophysik (11). Eine Aussage der äußeren Psychophysik ist der erwähnte Zusammenhang zwischen Wellenlänge und Farbe. Die Farbenblindheiten gehören dagegen in den Bereich der inneren Psychophysik. Sie werden durch Gene verursacht, die für eine von der Norm abweichenende molekulare Ausstattung der Sinneszellen im Auge sorgen.
Ich veranstalte jetzt eine gedankliche Übung. Jeder Mensch weiß, daß man Farben nicht abzählen kann. Die Farben bilden ja ein Kontinuum mit fließenden Grenzen. Wo ist die Grenze zwischen gelb und orange? So ist es auch bei den Farbreizen. Wo ist die Grenze zwischen zwei Frequenzen oder Wellenlängen? Farben und Wellenlängen bilden ein Kontinuum. Wie ist das aber bei Sinnesorganen und Gehirn? Die Gene, die die Entwicklung steuern sind diskrete Größen. Zwei Gene sind entweder gleich, oder in einem oder mehreren molekularen Bausteinen, den Nukleotiden, verschieden. Auch das Gehirn besteht aus diskreten Zellen. Jede Nervenzelle ist durch eine Zellmembran gegen die anderen abgeschlossen. Das ist die Aussage der unbestrittenen Neuronentheorie des Gehirns. Wie soll man nun die Farbinformation im Nervensystem verschlüsseln? Mit einer Zelle für rot oder grün ist uns nicht geholfen. Für die Farben brauchen wir stufenlos veränderliche Erregungsgrößen. Tatsächlich sind Farben im Gehirn, wie wir noch sehen werden, in Erregungen verschlüsselt, die die Voraussetzung zur Codierung des Kontinuums der Farben bieten.
Das paßt zu unserer gedanklichen Übung, löst aber noch nicht alle Probleme. Zwischen Farben, die man sieht, gibt es fließende Übergänge, nicht aber zwischen Farben, die man sich vorstellt. Ein gelber Volkswagen ist etwas anderes als grüner. Deutlicher wird die Aussage, wenn man sich wie Platon (27) klar macht, daß man durch bloßes hinsehen zwischen elf und zwölf Menschen kaum sicher unterscheiden kann, die Zahlen 11 und 12 aber schwerlich jemals verwechselt. So bilden auch Farben unverwechselbare Klassen. Für beide Aufgaben, die Codierung des Kontinuums und der Farbkategorien, braucht man das Gehirn.
Farbsysteme
Als unsere Vorfahren noch in Höhlen nisteten, und jedenfalls noch nichts von Naturwissenschaft wußten, da konnten sie schon Farben sehen. Die heute noch lebenden Primaten können es ja auch. Vielleicht pflückten die Höhlenkinder manchmal Blumensträuße, und stritten dann über das schönste Arrangement der Blütenfarben. Ohne alle Physik hätten sie dabei schon Gesetzmäßigkeiten entdecken können, die keineswegs trivial sind. Ich will das jetzt mit ihnen nachvollziehen. Ich lege einige Farbfilter auf einen Schreibprojektor, oder Sie klicken Java Applet: Farbkreis an und sehen Scheibchen in verschiedenen bunten Farben. Jetzt fragen wir, wie wir die Farben anordnen wollen. Alle regellos durcheinander? Da gäbe es viele Möglichkeiten. Wenn wir eine Ordnung hereinbringen wollen, kommt es auf die Regel an. Sie können die Farbscheibchen anklicken und mit gedrückter Maustaste auf dem Bildschirm verschieben. Reihen Sie die Farben nach ihrer Ähnlichkeit, so finden Sie schnell heraus: es gibt überhaupt nur eine Ähnlichkeitsordnung, den Farbenkreis, Abb.2. Wir haben die Farben nach nach dem subjektiven Urteil über Farbähnlichkeit nebeneinander gelegt, und gelangen zu einer einzigartigen Ordnung, die von allen Menschen akzeptiert wird. Freuen wir uns an diesem eindeutigen Ergebnis! Unsere Farbenordnung ist subjektiv und allgemeingültig! Das ist offensichtlich kein Widerspruch.
Man kann aber natürlich nörgeln. So muß man die für den Farbenkreis geeigneten Farben aussuchen, wenn ein Farbenkreis zustande kommen soll. Es gibt Farben, die garnicht in den Farbenkreis hineinpassen. Wo sollte man z.B. Schwarz oder Weiß unterbringen? Das Konzept muß erweitert werden. So wie wir zum Farbenkreis gelangt sind, kann man auch weitermachen, und alle anderen Farben nach ihrer Ähnlichkeit dazu ordnen. Wir gelangen damit zu Farbsystemen, die in unserer Zeit immer die Form dreidimensionaler Farbkörper annehmen (35,9). Der Maler Philipp Otto Runge gelangte zu seiner Farbkugel (28), die von Goethe übernommen wurde. Sie ist in Abb.3 in zwei Ansichten abgebildet. Sie hat einen weißen und einen schwarzen Pol und der Äquator ist der Farbenkreis. Auch das Innere der Kugeln muß man sich voller Farben vorstellen. Der schweizer Künstler Urs B. Roth hat eine Computerinstallation der Farbkugel für das Museum im Rungeschen Geburtshaus in Wolgast entwickelt, die auch im Internet unter www.colorsystem.com zu finden ist. Farbkörper können verschiedene Formen haben. Wenn man eine Runge-Kugel an den Polen auseinanderzieht, wird aus ihr bei gleichbleibenden Nachbarschaftsbeziehungen der Farben der Ostwaldsche Doppelkegel. In der Abb.4 sind vom Ostwaldschen Doppelkegel außer der unbunten Achse vom Weiß- zum Schwarzpol nur fünf Schnittflächen gezeigt. Der Nobelpreisträger Ostwald war fasziniert von der Exaktheit des subjektiven Urteils. Er verließ 1906 mit 53 Jahren seinen Lehrstuhl für Physikochemie in Leipzig, um sich dem Studium ästhetischer Urteile zuzuwenden. Er entwickelte ein vielbenutztes Farbsystem. Schnittflächen durch Farbenkörper bilden die Seiten von Farbatlanten. Abb.5 zeigt eine Seite aus einem Ostwaldschen Farbatlas mit Notizen von Alfred Kühn, der dieses Exemplar bei seinen berühmten genetischen Untersuchungen mit der Mehlmotte zu Bestimmung der Augen- und Flügelfarben benutzt hatte (Egelhaaf A. in (5) S.54-55). Bei dem DIN-Farbatlas (38), Abb.6, sind die subjektiven Farbunterschiede überall nahezu gleich groß. Je nach den Regeln, die man sich selber zurechtlegt, gelangt man zu anderen Farbsystemen. Die Nachbarschaftsverhältnisse innerhalb der Farbsysteme sind aber immer gleich (35, 32).
Fragt man sich, ob der dreidimensionale Farbkörper von Philipp Otto Runge Vorläufer hatte, so stellt man überrascht fest, daß das kaum der Fall ist. Der große Physiker Lambert entwickelte nur wenige Jahre früher seine Farbenpyramide Abb.7; (20) und berief sich auf den Göttinger Kollegen Tobias Mayer, der etwas Ähnliches in Angriff genommen hatte. Die Vorgeschichte der Farbkörper ist also kurz. Es ist ja auch garnicht selbstverständlich, daß man abstrakte ästhetische Urteile räumlich darstellt. Für uns mag das noch naheliegend sein, nachdem die Geometrie des Raumes im letzten Jahrhundert so weit entwickelt wurde, daß heute sogar Volkswirte vor dreidimensionalen Funktionsdiagrammen nicht mehr zurückscheuen. Im 18.Jahrh. war das anders.
Ich stelle Ihnen jetzt noch ein flaches Farbsystem aus dem frühen 17.Jahrhundert vor, das älter ist, als die cartesische Geometrie und auch älter als Galileis zweidimensionale Funktionsdiagramme. Die räumlich-dreidimensionale Ordnung ist in diesem Vorläufer eines Farbkörpers aber bereits angelegt. Das Farbsystem, Abb.8, findet sich in dem Lehrbuch der Optik des Jesuiten Aguilonius aus dem Jahre 1613 (1), das von keinem geringeren als Peter Paul Rubens illustriert wurde. Die lateinischen Farbnamen sind verbunden durch Linien, die die Farbähnlichkeit veranschaulichen. Die Abb.9 (Transformation des Farbsystems nach Aguilonius zur Rungeschen Farbkugel, nach C. Pfaff in Mainz (26)) zeigt, daß man dieses System aufklappen kann, so daß man über mehrere Schritte zu der Rungeschen Farbkugel gelangt, ohne die Ähnlichkeitsbeziehungen zu ändern. Das flache Rubens- Aguilonius-Farbsystem und die Runge-Kugel sind somit äquivalent - beide zeigen die offensichtlich naturgegebene Ordnung der Farben nach unserem subjektiven Urteil. Die Ähnlichkeiten der Farben untereinander beruhen auf natürlichen Vorgaben. Die Farbsysteme unterscheiden sich nur in der Darstellungweise der Ähnlichkeitsurteile.
Farbreize
Es wird höchste Zeit, daß ich zur Physik komme, zu den Farbreizen. Ich erinnere an das berühmte Experiment von Isaac Newton (25). Die Abb.10 zeigt den Versuch im Überblick. Ein Lichtstrahl von der Sonne gelangt durch ein Loch im Fensterladen in einen dunklen Raum und wird durch ein Glasprisma aufgespalten. In dem Schirm, auf dem das Spektrum sichtbar wird, befinden sich Löcher. Durch diese Löcher treten monochromatische Strahlen hindurch. Diese Strahlen können durch eine Linse umgelenkt werden, so daß es an einem weiteren Schirm zu Überlagerungen der monochromatischen Strahlen kommt. Das ist vergrößert in Abb.11 zu sehen. Die Ergebnisse derartiger additiver Farbmischung sind bekannt: rot+gelb=orange, blau+grün=blaugrün, aber blaugrün+rot=weiß, aber auch die beiden ganz anderen monochromatischen Reize erzeugen dieselbe Farbe: blau+gelb=weiß. Physikalisch verschiedene Reize führen somit zur selben Farbwahrnehmung! Daraus folgt: Es gibt mehr Reize als Farben. Mit Physik alleine hätte man das nie herausfinden können. Man braucht ja Menschen, die sagen: "jawohl, beide Reizkombinationen sehen genau gleich aus". Und in diesem subjektiven Urteil stimmen die Menschen überein. Warum das so ist, erklärt die trichromatische Theorie des Farbensehens, die weiter unten skizziert werden wird.
Das Psychophysische Problem
Hier möchte ich etwas über das psychophysische Problem einschieben. Ich halte mich dabei an die Argumentation von Emil du Bois-Reymond. Er ist der Vater der modernen Hirnforschung. Mit ihm verbindet man die Erkenntnis der elektrischen Natur der Nervenerregung. Er war 1845 mit 27 Jahren Jahren Gründungsmitglied der Physikalischen Gesellschaft in Berlin und 47 Jahre lang ihr Präsident. In seiner oft nachgedruckten Rede "Über die Grenzen des Naturerkennens" (2) aus dem Jahre 1872 führt er aus, daß keine Verbindung möglich sei von der messenden Naturwissenschaft zu Subjektivität. Das habe methodische Gründe. Philosophische Unterscheidungen zwischen monistischen und dualistischen Konzepten von Leib und Seele können bei dem Argument zunächst einmal ausgeklammert werden. Wer das Gehirn mit Meßgeräten und Mikroskopen untersucht, bekommt der Methode entsprechend Ergebnisse physikalischer, chemischer und struktureller Natur. Was der Eigner des Gehirns denkt, findet man auf diesem Wege nicht. Man müßte den Menschen selbst fragen. Nicht einmal eine einfache Farbempfindung, so schreibt du Bois-Reymond, kann man im Gehirn finden. Darum besteht aus methodischen Gründen eine psychophysische Grenze zwischen Hirnforschung und Psychologie. Man muß mit diesem psychophysischen Problem leben, wie mit anderen unlösbaren Problemen, wie der Quadratur des Zirkels, so sagt du Bois-Reymond. Die Rede schließt mit "ignoramus, ignorabimus" - nie werden wir darüber etwas wissen. Die Argumentation ist schlüssig.
Warum betreibt man aber Hirnforschung, wenn das psychophysische Problem unlösbar ist? Antwort: weil es andere Fragestellungen mit lohnenden Antworten gibt. Eine Frage hatte ich gerade aufgeworfen: welche Farbreize sehen gleich aus, welche nicht. Obwohl die Farbreize zu Physik gehören und das Gleichaussehen eindeutig zur Wahrnehmung, gibt es eine Theorie, die die Frage quantitativ beantwortet, also den psychophysischen Graben überbrückt. Das ist die Trichromatische Theorie des Farbensehens.
Trichromatische Theorie des Farbensehens
Ich skizziere diese Theorie. Ein Blick auf einen Videoschirm durch eine Lupe zeigt, daß jedes Bildschirmelement aus einem roten, einem grünen und einem blauen Punkt besteht, Abb.12. Die Abstrahlung dieser Punkte wird gesteuert. Leuchten nur die blauen Punkte, ist der Bildschirm blau. Das kann man mit dem Java Applet: Bildschirm studieren. Sind die blauen und grünen Punkte hell, so sieht der Bildschirm blaugrün aus. Leuchten alle drei, so erscheint der Bildschirm bei einer bestimmten Einstellung unbunt, weiß, schwarz oder grau, je nach der Intensität. Mit diesen drei Farbreizen kann man offensichtlicht alle Farben des Bildschirms erzeugen. Diese Aussage kann man in einer Formel zusammenfassen, Abb.13a, die sagt, daß jede beliebige Farbe durch drei Mischfarben B, G und R erzeugt werden kann. Drei Variable reichen aus, und das sind die Intensitäten der drei Farben gegeben durch die drei Koeffizienten b, g und r. Helmholtz prüfte die Allgemeingültigkeit dieser Gleichung mit dem Farbenmischer, Abb.13b (Farbenmischer nach v. Helmholtz (6)). Dieser ist ein technischer Nachbau der Gleichung: links wird eine beliebige Farbe F geboten, rechts die additive Überlagerung von drei durch Graukeile geregelten Mischfarbenreizen. Helmholtz fand keinen Fall, der der Gleichung widerspochen hätte. Die Koeffizienten b, g oder r können auch negativ sein. Das bedeutet, daß man die Mischfarbe dem Reiz der Farbe F auf der anderen Seite beimengt. Maxwell studierte die Gesetz mäßigkeit mit schnell rotierenden Farbscheiben mit variablen Sektoren, Abb.13c (Sektorscheibe zur Farbenmischung nach Maxwell (8)).
Der Schritt von dieser Gleichung zur trichromatischen Theorie ist nur noch klein. Wenn man mit drei Variablen alle Farben erzeugen kann, dann braucht das Auge und das Gehirn mindestens drei Variable, um die Farben zu kodieren. Diese drei Variablen sind die Erregungen der drei Arten von Sinneszellen, die man Zapfen nennt. Sie sind jeweils empfindlich für den kurzwelligen, den mittleren und den langwelligen Teil des Spektrums und werden dementsprechend s-, m- und l-Zapfen genannt nach short, middle und long. Die Abb.14 (a: Querschnitt durch das linke Auge von oben gesehen, b: Ausschnitt der Netzhaut imBereich der Sehgrube (Fovea centralis), c: Netzhaut nach H.Wässle aus (6)) erinnert an die Form und Lage der Zapfen in der Netzhaut. Die ganze Theorie sieht man in Abb.15 ((a) Der Lichtreiz, der vom Blatt ins Auge gelangt, ist durch die beleuchtende Strahlungsleistungsverteilung P(lambda) und den Remissionskoeffizienten ß(lambda) gegeben, wobei ß(lambda) den Anteil beschreibt, der vom Blatt abgestrahlt wird. (b) Spektrale Strahlungsleistungsverteilung Pm(lambda) für Himmelslicht zur Mittags- und Pa(lambda) zur Abendzeit. Die Absorptionskurven der visuellen Pigmente der Zapfen (Rhodopsine) in (c) bestimmen die spektrale Empfindlichkeit dieser Lichtsinneszellen, in die die Filtereigenschaften der optischen Augenmedien miteingerechnet werden können. Mit den Gleichungen (e) können die Absorptionswerte S, M und L der s-, m- und l-Zapfen berechnet, und in den Rezeptorabsorptionsraum (d) eingetragen werden. So wird aus einem Farbreiz ein Farbort. (nach (4) verändert)).
Die Theorie sagt: Jeder Reiz wird in eine Erregungskombination übersetzt, die als Farbort im dreidimensionalen Rezeptorabsorptionsraum darzustellen ist. Damit erfüllen sich einige unserer Wünsche an die Theorie. 1. Viele Reize können auf denselben Reizort fallen. Das sind die, die gleich aussehen, wie die verschiedenen Weißreize im Newton-Versuch. 2. Die Farborte bilden ein Kontinuum. 3. Die Wolke der Farborte ist dreidimensional.
Jetzt setze ist noch etwas oben drauf: Die Wolke der Farborte entspricht einem Farbkörper. Das zeige ich Ihnen zuerst mit einem Farbenkreis nach Art der Abb.16 oben. Die Farbreize eines derartigen Farbenkreises wurden von Frau Pfaff in Mainz gemessen und in Farborte des Rezeptorraums umgerechnet. In Abb.16 sind oben die bunt markierten Farborte in zwei Ansichten des Rezeptorabsorptionsraumes zu sehen. Die Farborte bilden eine geschlossene Figur wie der Farbenkreis. Ihr Verlauf ist durch die Farbreize und die Absorptionsfunktionen der Zapfen, Abb.15c bestimmt. Man kennt aber nicht nur die Absorptionsfunktion und damit den Reiz-Input der Zapfen, sondern auch ihren Erregungs-Output. Der Output steigt mit wachsendem Input nur bis zu einem maximalen Wert, Abb.16 Mitte. Durch Einführung dieser Transformation gelangt man zum Rezeptor-Output-Raum, der in zwei Ansichten im unteren Bildteil zu sehen ist. Die transformierten Farborte bilden noch immer eine geschlossene Figur.
Man kann die Vorlage für den Farbenkreis bei verschiedenen Beleuchtungsstärken betrachten. In Dunkelheit wird nichts reflektiert und die Farben des Farbenkreises sitzen deshalb alle im Ursprung des Output-Raumes. Bei zunehmender Beleuchtungsstärke wandern die transformierten Farborte aus dem Ursprung heraus, wie es in Abb.17 in zwei Ansichten gezeigt ist. Bei großen Beleuchtungsstärken kommen die Orte wegen der sigmoiden Input- Output-Transformation wieder alle in einem Punkt zusammen. Die Bahnen der transformierten Farborte bilden somit einen dreidimensionalen Körper, den man als ein natürliches Farbsystem bezeichnen kann. Dieses zeigt, daß die Farbkörper durch die trichromatische Theorie vorhergesagt werden können. Sie sind schon allein wegen der Eigentümlichkeiten der Zapfen- Empfindlichkeitsfunktionen unregelmäßig. Durch zusätzliche Vorschriften können sie weiter verformt werden. Das Grundprinzip ist aber gegeben durch die trichromatische Theorie, d.h. durch die spektrale Empfindlichkeit der s-, m- und l- Zapfen.
Farbenblindheiten
Ich sagte vorhin, daß alle Menschen mit ihrem subjektiven Farburteil zum selben Farbenkreis gelangen. Inzwischen verstehen wir, warum das so ist. Mit der trichromatischen Theorie kann man es vorhersagen. Nun können wir noch einen Schritt weiter gehen. Mit den sogenannten Farbenblinden hat uns die Natur Menschen beschert, bei denen die molekulare Ausstattung der Zapfen dafür sorgt, daß sie die Farben ein wenig anders beurteilen. Bei dem Experiment mit dem Farbenkreis auf dem Schreibprojektor, Abb.2, fiel das noch nicht auf. Bei dem sogenannten Farnsworth-Test für Farbenblindheiten, Abb.18, legen die Probanden einen Farbenkreis aus liebevoll ausgewählten ungesättigten und sehr ähnlichen Farben (39). Die normal farbentüchtigen Menschen ordnen auch diese Farben zum selben Farbenkreis. Genetische Unterschiede, die zu den sogenannten Farbanomalien und Farbenblindheiten führen, machen sich aber in Veränderungen der Reihung bemerkbar. Man nutzt bei diesem Test das subjetive ästhetische Urteil über Farbähnlichkeit, um die genetischen Unterschiede zwischen den Menschen festzustellen.
Schauen wir uns kurz diese molekularen Grundlagen selber an. Die Gene des Menschen bestehen aus Nukleinsäuren, abgekürzt DNA. Die Sequenz der Bausteine, der Nukleotide, bestimmt die Sequenz der 21 Arten von Aminosäuren in den Proteinen. Die Abb.19 zeigt schematisch das Protein des Sehpurpurs von m- bzw. l- Zapfen. Jede Perle stellt eine Aminosäure dar. In sieben schraubig gewundenen Abschnitten, den Alpha-Helices, wird das Molekül in der Zellmembran gehalten. Die Alpha-Helices liegen in Wirklichkeit nicht nebeneinander, sondern bilden einen Kreis. In der Mitte befindet sich das hier nicht gezeigte Retinal, das an die Aminosäure in Position 312 gebunden ist. Von diesem mit dem Vitamin A verwandten kleineren Molekül werden die Lichtquanten absorbiert. Die dreidimensionale Gestalt des umgebenden Protein-Moleküls und die Aminosäuren an den verschiedenen Positionen bestimmen die Absorptionseigenschaften des Retinals. Die spektrale Absorptionsfunktion wiederum determiniert die Empfindlichkeitskurven der s-, m- und l-Zapfen, die in dem Diagramm unten abgebildet sind (nach D. Donelly aus (23) verändert). Durch die beiden rot gekennzeichneten Aminosäuren ist festgelegt, ob die Empfindlichkeitskurve mehr im langwelligen oder mittleren Teil des Spektrums liegt, d.h. ob ein l- oder ein m-Rhodopsin vorliegt. Wenn das Gen für eines dieser Rhodopsine fehlt, wird die zugehörige Zapfenart nicht ausgebildet, und es liegt eine Rotgrünblindheit vor. Aminosäuren in den gelb markierten Positionen bestimmen die feinen Unterschiede der Empfindlichkeitskurven, welche den Farbanomalien zugrunde liegen. Damit ist die Trichromatische Theorie für den Normalfall und seine genetischen Variationen bis in den Bereich der Molekulargenetik hinein begründet.
Über Farbenblindheit kann man viele schöne Geschichten erzählen. Entdeckt wurden sie von Goethe (16). Er führte auch die pseudoisochromatischen Tafeln zur Bestimmung der Farbenblindheiten ein. Das Fremdwort bedeutet: "fälschlich gleichfarbig". Goethes Probanden erschienen nämlich die übereinander angeordneten Farbflecke in Abb.20 gleichfarbig. Abb.21 zeigt ein Beispiel einer modernen Tafel nach Ishihara (40), bei der die Farbverwechselung dazu führt, daß verschiedene Ziffern gelesen werden. Goethes Probanden erklärten der Himmel habe dieselbe Farbe wie eine rötliche Blüte. Lag das nun daran, daß die Probanden kein blau sehen konnten oder kein rot? Sie verwechselten jedenfalls die beiden Farben und Goethe entschied sich nach jahrelangem intensiven Forschen genau falsch herum. Wolfgang Jaeger (19) spürte in den 80er Jahren einen uralten Urenkel des einen Probanden auf, der über die müttlerliche Linie das Gen geerbt hatte. Er erwies sich mit den modernen Untersuchungsmethoden als protanop, d.h. rotblind. Goethe hätte sich dafür sicher sehr interessiert. Unabhängig von Goethe entdeckte John Dalton, der Vater der chemischen Atomtheorie, die Farbenblindheit an sich selbst und seinem Bruder. Im Gegensatz zu Goethe erklärte er dies nicht als eine Besonderheit des Wahrnehmungsprozesses. Er stellte vielmehr die Hypothese auf, nach der der Glaskörper oder die Linse in seinen Augen blau gefärbt sei. Er ordnete testamentarisch an, daß seine Augen post mortem untersucht werden. Die Hypothese bestätigte sich nicht, aber die Augen entgingen deshalb der Beerdigung, und wurden in getrocknetem Zustand aufgehoben. Durch die Polymerase-Ketten-Reaktion konnte die aus den Augenresten gewonnene DNA nun kürzlich vermehrt werden (18).Das Gen für das m-Rhodopsin fehlte. So weiß man, daß Dalton deuteranop war, d.h. grünblind.
Neuartig und nützlich sind diese neuartigen Untersuchtungs methoden für Historiker. Wirklich erstaunlich ist die durchgängige Begründung des ästhetischen Farbähnlichkeitsurteils und seiner genetischen Variationen bis in den molekularen Bereich hinein.
Die wahrgenommene Farbe des Schattens wird in der Regel durch die Farbreize der Umgebung beeinflußt. Diesen Umfeldeffekt, den simultanen Farbkonstrast, kann man an den runden Scheibchen in der Abb.22 unmittelbar sehen. Die jeweils übereinander stehenden Farbscheibchen sehen nicht ganz gleich aus, obwohl sie dieselben Farbreize abstrahlen. Man lasse den Blick über die Abbildung schweifen und betrachte sie aus verschiedenem Abstand, bis die Unterschiede der Farben bei gleichen Farbreizen deutlich herauskommen. Bei den Phänomenen dieses Abschnitts sind die Beobachtungsbedingungen einflußreich.
Die trichromatische Theorie reicht zur Erklärung des simultanen Farbkontrastes nicht aus. Was wir sehen, wird offensichtlich nicht allein durch die Reizung der Zapfen bestimmt, weil offensichtlich gleiche Zapfenreize zu verschiedenen Farbwahrnehmungen führen können. Zusätzliche nachgeschaltete Verarbeitungsprozesse müssen in diesem Fall Ursache der Farbunterschiede sein. Die Zapfenerregung wird in das Nervensystem eingespeist. Die Nervenzellen hemmen sich gegenseitig. Die hemmenden neuronalen Verbindungen sind zum Teil zapfenspezifisch, so daß z.B. eine gelbe Umgebung die Gelberregung der eingeschlossenen Fläche unterdrückt. Die übrig bleibende Blauerregung kann dann in der Wahrnehmung umso stärker zum Vorschein kommen. Es widerspricht der der trichromatischen Theorie somit nicht, daß gleiche Reize je nach ihrem Umfeld verschieden aussehen. Das kann man in dem Java Applet: Farbkontrast studieren, indem man die graue U-förmige Figur im unteren Bereich anklickt und mit gedrückter Maustaste herauszieht. Auch hier ändert sich die Erscheinungsweise mit dem Umfeld. Der Effekt kommt je nach Beleuchtung und Beobachtungsabstand mehr oder weniger deutlich zum Vorschein.
Farbänderungen durch neuronale Prozesse zeigen sich auch in den sogannten musterinduzierten Flimmerfarben (MiFf). Man stelle sich vor, die Pappscheibe auf der linken Seite der Abb.23 rotierte so schnell, daß das schwarz-weiße Muster zu einem grauen verschmölze. Erwartungsgemäß sähe man dann zwei dunkle Ringe auf grauem Grund. Den zeitlichen Verlauf der Hell-Dunkel-Reize für die Zapfen im Auge zeigt das Diagram auf der rechten Seite, in der oberen Zeile von einem Ort auf der rotierenden Scheibe neben den Ringen, in den unteren Zeilen von de Bereichen der Ringe. Die Lichtreizfunktionen der Ringe sind, wie man sieht, gleich. Darum überrascht es nicht, daß die beiden fusionierten Ringe gleich grau aussehen - wenn die Scheibe sehr schnell rotiert. Bei Umlauffrequenzen von ungefähr 5 Hz sieht man allerdings etwas anderes. Der äußere Ring erscheint dann bräunlich-rot und heller als der innere, der dunkel violett aussieht. Bei Rotation in Gegenrichtung ist der äußere dunkel violett und der innere rötlich. Sogar bei monochromatischer Beleuchtung sehen die Ringe verschieden aus. Dies ist somit ein zweiter Fall, für den gilt: gleiche Reize - verschiedene Farbwahrnehmungen.
Die Ursache der MiFf erkannte R. Feynman (12) sofort: die Phasenlage der periodischen Hell-Dunkel-Reize der beiden Ringe zu ihrem Umfeld ist verschieden. Hier kommt zu den Bedinungungen des simultanen Farbkontrastes noch eine zeitliche Komponente hinzu, die sich auf die Erregungsabläufe in den neuronalen Vernetzungen auswirkt. Weil es auf die Phasenlage ankommt, ändern sich die MiFf mit der Drehrichtung und darum ist der Effekt der phasenabhängigen lateralen Koppelung im Nervensystem auch bei monochromatischer Beleuchtung wahrnehmbar. Die neuronale phasenempfindliche laterale Interaktion findet übrigens bereits im Auge statt (7).
Die MiFf sind kein eindrucksvolles Farbphänomen. Die Farben sind weder hochgesättigt noch leuchtend. Man muß genau hinsehen, um sie zu erkennen. Trotzdem sind MiFf interessante Instrumente für die Psychophysik des Farbensehens (7). Man kann die MiFf mit Geräten nach Art des Helmholtzschen Farbenmischers, Abb.13b, nachmischen. Man weiß dann genau, wie sie für den Betrachter aussehen. Eine einfachere Meßmethode zeigt Abb.24: Man sucht aus einem Farbatlas, Abb.6, das passende Farbkärtchen heraus. Widerspenstige Versuchspersonen, die behaupten keine MiFf sehen zu können, widerlegen dann durch ihre Farbwahl ihre eigene Behauptung, und beweisen, daß farbentüchtige Menschen die MiFf gleich wahrnehmen. In der Frühzeit des noch schwarzweißen Farbensehens wurden die MiFf für farbige Werbespots verwendet (41). Die normalen Farbreize sind aber technisch einfacher zu realisieren, und führen zu zuverlässigeren Ergebnissen.
In seinem Buch "A Vision of the Brain" beschreibt S. Zeki (36), wie man die seltene Hemiachromatopsie aufgeklärt hat, einen Defekt des Farbensehens, bei dem die Menschen in einer Hälfte des Gesichtsfeldes keine Farben sehen. Die Patienten sehen die Umgebung so, wie es in Abb.25 illustriert ist. Der Aufklärung gingen umfangreiche Studien zur Physiologie und Neuroanatomie des Großhirns voraus. Abb.26 zeigt das Gehirn eines Affen, in dem die Areale V1 bis V5 farbig hervorgehoben sind. Die Information über die Außenwelt, die in den beiden Augen abgebildet ist, wird nach Umsetzung in Nervenerregung in diese Areale der gefalteten Großhirnrinde geleitet. In jedem Areal wird die Außenwelt abgebildet. Die untereinander vernetzten Areale sind für verschiedene Aufgaben spezialisiert. Die Nervenzellen von V3 und V5 reagieren auf Bewegungen, V4 ist für Farben spezialisiert. Als Zeki diese Tatbestände aufgeklärt hatte, untersuchte er Hemiachromatopsie-Patienten mit der bildgebenden Positronen Emmissions Tomographie Methode (PET) und erkannte, daß bei diesen Patienten das Areal V4 auf einer Seite geschädigt war. Alle anderen Sehleistungen wie räumliches- oder Bewegungssehen waren vorhanden. Bei Patienten, bei denen nur das Bewegungssehen gestört war, fand A. Zihl (37) dann eine Schädigung des benachbarten Areals V5. Die Auswertung der visuellen Information erfolgt offensichtlich in parallel geschalteten, für jeweils bestimmte Funktionen spezialisierten Teilen des Gehirns.
Die Farbentüchtigkeit verschiedener visueller Hirnfunktionen braucht nicht gleich zu sein. Es ist auch nicht so, daß ein Mensch entweder farbentüchtig oder farbenblind wäre. Es kommt immer auf die visuelle Aufgabe und damit auf die Nervenzellen an, die für die Erledigung der Aufgabe notwendig sind. Die Abb.27 zeigt ein zweifarbiges Muster, das bei langsamer Drehung um den Mittelpunkt zu einer eigentümlichen Bewegungswahrnehmung führt. Bei Drehung im Uhrzeigersinn sieht man Bewegungen von der Mitte nach außen, so als ob die Scheibe wachse, was manchmal auch zu der Täuschung führt, daß sie näher komme. Bei Drehung in Gegenrichtung verläuft die Bewegung von außen zum Mittelpunkt. Die Scheibe scheint zu schrumpfen und sich zu entfernen. Wenn man die rotierende Scheibe mit zwei variablen Lampen beleuchtet, einer Rot- und einer Grünlichtlampe, so findet man leicht ein Beleuchtungsverhältnis, bei dem die Bewegungswahrnehmung verschwindet. Man sieht dann keine bewegten Spiralstreifen mehr. Die ganze Scheibe erscheint in einer Mischfarbe. Hält man die Scheibe an, so ist das zweifarbige Muster wieder zu sehen. Diese letzte Beobachtung bestätigt, daß die Fähigkeit zur Mustererkennung farbentüchtig ist. Für die Bewegungswahrnehmung war aber bei den eingestellten Leuchtdichten Spirale und Hintergrund gleich wirksam. Der Bewegungsdetektor konnte in dieser Einstellung die beiden Farben nicht unterscheiden. Er ist farbenblind bei normal farbentüchtigen Menschen. Als Bewegungsdetektor gelten neuronale Einrichtungen in V5, die dafür spezialisiert ist, die Verschiebung von Konturen im Gesichtsfeld zu registrieren. Wenn die Kontur für den Bewegungsdetektor unsichtbar ist, kann dieser ihre Bewegung nicht melden. Farbenblinde Nervenbahnen sind auch mit elektrophysiologischen Methoden nachzuweisen.
Die Aufzählung von Farbphänomenen, bei denen ein Reiz zu verschiedenen Wahrnehmungen führt läßt sich verlängern (4). Ursache für die Menge merkwürdiger Farbphänomene ist die Verschiedenartigkeit der parallelen Verarbeitungsprozesse im Gehirn. Niemand zweifelt daran, daß sich alle diese Phänomene wissenschaftlich aufklären lassen. Mit der Frage nach der Ursache in dem Einzelfall wird man aber schwerlich zu einer allgemeinen Theorie des Farbensehens gelangen, aus der man eine wissenschaftliche Erklärung für alle denkbaren Einzelfälle ableiten kann. Es kann ja immer noch ein neues rätselhaftes Farbphänomen oder ein zusätzlicher Verarbeitungsweg im Gehirn entdeckt werden. Zu einer allgemeinen Theorie des Farbensehens wird man eher gelangen, wenn man nicht nur fragt, warum das Farbensehen so ist, wie es ist, sondern auch, für welche Aufgabe es sich im Verlauf der Evolution so entwickelt hat. Die Frage "Warum?" muß durch die Frage "Wozu?" ergänzt werden.
Nun ein Wort zur Farbkonstanz. Auch das natürliche Beleuchtungsspektrum weist eine tageszeitliche Variation auf. Der Weg der Sonnenstrahlung durch die Atmosphäre ist morgens und abends bei tief stehender Sonne viel länger ist als mittags, wenn die Sonne höher am Himmel steht. Deshalb ist die Absorption in der Atmosphäre tageszeitlich verschieden. Wichtiger noch ist die Streuung, die nach dem Rayleighschen Gesetz bei kürzeren Wellenlängen viel größer ist als bei längeren. Wie sich das auf die Strahlungsleistungsverteilung des Himmelslichtes auswirkt, sieht man in Abb.15b. Zusätzliche wetterabhängige Einflüsse der Atmosphäre und der richtungsabhängigen Einstrahlung z.B. bei Sonnenschein und blauem HImmel sollen jetzt nicht diskutiert werden (22). Ein weißes Blatt Papier müßte bei natürlicher Beleuchtung mittags bläulich, morgens und abends aber orange aussehen. Das ist nicht der Fall, weil unser Sehvermögen nicht nur helligkeits-, sondern auch farbkonstant ist. Die Variationen des Beleuchtungsspektrums werden in den Wahrnehmungsprozessen teilweise kompensiert.
Ein Farbreiz, der von einem Gegenstand ins Auge gelangt, hängt von der Beleuchtung und den Remissionseigenschaften des Gegenstandes ab, Abb.15a. Wenn die Farbwahrnehmung allein von diesem einen Farbreiz abhinge, wäre Farbkonstanz nicht möglich. Der Farbreiz könnte sich mit dem Beleuchtungsspektrum genauso ändern, wie wenn sich der Gegenstand bei gleichbleibender Beleuchtung verfärbte. Im Auge und Gehirn wäre zwischen diesen beiden Möglichkeiten keine Entscheidung mehr möglich. Farbreize treten aber nicht einzeln auf. Helmholtz vermutete bereits, daß auch die Farbkonstanz, wie die Helligkeitskonstanz, von den Kontrasten im visuellen Feld abhängt. Das hat sich bestätigt und soll jetzt veranschaulicht werden.
Die schönste Demonstration, das Landsche Phänomen, kann hier leider nur beschrieben werden. Edwin Land, der Erfinder der Pol-Folien und der Polaroid-Kamera, experimentierte mit Kollagen aus Buntpapier, die er spaßeshalber "Mondrian" nannte. Er beleuchtete sie durch drei Projektoren, die rotes, grünes und blaues Licht mit schmalbandigen Spektren abstrahlten. Alle drei Lichtquellen zusammen ergaben eine unbunte Beleuchtung, Abb.28 oben. Verändert man die Intensitäten der drei Projektoren, so reflektieren alle Papiere der Kollage das veränderte Beleuchtungespektrum, Abb.28 unten. Erstaunlicherweise nimmt man aber unter den Bedingungen des Landschen Versuches die Farbänderung in weiten Bereichen gar nicht wahr. Man kann die Beleuchtung so ändern, daß der Reiz der im unbunten Licht von z.B. einem grünen Papier abgestrahlt wurde, bei grünlicher Beleuchtung von dem Papier abgestrahlt wird, das bei unbunter Beleuchtung weiß aussah. Erstaunlicherweise erscheint dieses vormals weiße Papier dann nicht grün, sondern vielmehr weiß, obwohl es den Grünreiz abstrahlt. Es sind somit nicht die Farbreize der einzelnen Papiere, die bestimmen was man sieht. Man nimmt vielmehr die Materialeigenschaften der Papiere unabhängig von der Beleuchtung war. Wenn das Landsche Phänomen technisch perfekt vorgeführt wird, staunt jeder Betrachter über die Täuschung. Man kann diese entlarven, indem man durch eine schwarze Röhre nur eines der Papiere anschaut. Das erwähnte Weißpapier sieht dann in grünlicher Beleuchtung wirklich grün aus. Farbkonstanz kommt durch Verarbeitung des ganzen Bildes zustande. Mit elektrophysiologischer Methodik konnte Zeki im Areal V4, Abb.26, nachweisen, daß die dortigen Nervenzellen die Farben konstant codieren, d.h. auf die Farbpapiere der Kollage unabhängig von der Beleuchtung gleich reagieren.
Der Landsche Erklärungsvorschlag ist als Retinextheorie bekannt geworden. Retinex ist der Name für drei postulierte Repräsentationen der visuellen Umwelt im Auge und Gehirn (Retina und Cortex) aufgenommen durch Rot-, Grün- und Blaufilter, wie sie zustande kämen, wenn jedes Retinex durch jeweils eine Art von Zapfen hervorgebracht würde. Innerhalb des Rot-, Grün- und Blauretinex sind die Kontraste beleuchtungsunabhängig, wie die Zeitung im Mond- und Sonnenlicht. Wenn z.B. der Rotlichtprojektor heraufgeregelt wird, nimmt die Remmission seiner Strahlung bei allen Farbpapieren der Kollage um denselben Faktor zu, die Erregungsverhältnisse zwischen den Feldern bleiben aber gleich. Die drei postulierten Retinexe sind somit bereits unabhängig von der Beleuchtungstärke. Lediglich das Verhältnis der drei zueinander verschiebt sich bei Änderung des Beleuchtungsspektrums. In unserem Beispiel wird das rote Retinex insgesamt "heller", d.h. die Erregung steigt bei allen Farbpapieren um einen bestimmten Anteil. Wenn es gelingt die beleuchtungsabhängige Verschiebung zu kompensieren, ist Farbkonstanz erreicht. Dafür wurden verschiedene Algorithmen erprobt. Die Erregungen der drei Retinexe könnten so eingeregelt werden, daß z.B. die Stellen mit der größten Erregung von jedem Retinex einen Standardwert annimmt, der Unbunt entspricht. Das Ergebnis läßt zu wünschen übrig, wenn man die Theorie auf extreme Bedingungen wie den Blick in einen einheitlich grünen Raum anwendet. Die Vorhersagen sind besser bei strukturierter Umgebung wie in der Demonstration des Landschen Phänomens.
Man kann sich Gedanken über die Bedingungen für das Gelingen von Farbkonstanz im Allgemeinen machen. Abschied nehmen muß man von der Vorstellung, das Sehen sei insgesamt farb- und helligkeitskonstant. Es kommt auch hier auf die visuelle Aufgabe, ja sogar auf die Fragestellung an. Daß Schnee weiß ist, kann man auch am Abend sehen, wenn er außerdem auch gelblich erscheint wegen der tiefstehenden Sonne, und wenn die Schatten der Bäume auf dem Schnee blau aussehen. Es kommt somit darauf an, worauf man achtet, auf den Schnee oder die Beleuchtung. Man erkennt mühelos, ob ein Vorhangstoff einfarbig ist, auch wenn er wegen seiner Falten und dem einseitigen Lichteinfall verschiedene Lichtreize aussendet. Die Fragestellung und Aufgabe der Wahrnehmung muß immer mitberücksichtigt werden. Mit ihr wird entschieden, welche Wahrnehmungsweise gewählt und welche Nervenzellen für die Aufgabe genutzt werden.
Es gibt natürlich Voraussetzungen für das Gelingen von Konstanz, die man genauer formulieren kann. Helmholtz wußte bereits, daß ein einzelner isolierter Reiz nicht beleuchtungsunabhängig wahrnehmbar ist. Wie viele Reize man braucht, hängt von der Zahl der unabhängigen Reizvariablen ab, die bei der Wahrnehmung zu bestimmen sind. Es hat sich herausgestellt, daß die Mannigfaltigkeit der verschiedenen Himmelsspektren und auch der Materialeigenschaften reflektierender Objekte nicht beliebig groß ist, so daß das Herausrechnen der Zufälligkeiten der Beleuchtung nicht prinzipiell ausgeschlossen ist (21).
Eine triviale Vorraussetzung von Konstanz ist das Vorhandensein von mehr als einer Art von Zapfen ((3), (33)). Wenn es nur eine Art von Lichtsinneszellen gäbe, die alle dieselbe spektrale Empfindlichkeit hätten, dann könnte eine Veränderung des Beleuchtungsspektrums nicht durch eine Regelung der Erregungsstärke kompensiert werden. Man braucht dazu schon Erregungskanäle die für verschiedene Spektralbereiche spezialisiert sind. Das soll die folgende Überlegung zeigen. Menschen sind Trichromaten, darum können sie Farben unterscheiden, wie z.B. die bunte Kollage in Abb.29 links. Sie sehen sie im Mittags- und Abendlicht nahezu gleich wegen der Farbkonstanzleistung. Man kann die natürliche Beleuchtung im Laboratorium simulieren, um sorgfältigere Messungen unter überprüfbaren Beleuchtungsbedingungen machen zu können. Dazu gehörte die Betrachtung der Kollage bei extrem schwacher Beleuchtung. Im dunkeladaptierten Zustand sind beim Menschen die Zapfen abgeschaltet. Er sieht dann mit den Stäbchen, von denen er nur eine Art besitzt. Er ist darum total farbenblind. Bei Nacht sind alle Katzen grau. Damit ist aber auch Konstanz ausgeschlossen. Im simulierten Morgenlicht sieht der dunkeladaptierte Mensch das X und im Mittagslicht das U auf der rechten Seite von Abb.29. Das zeigen übereinstimmend die unmittelbaren Beobachtungen und Berechnungen, die bei Kenntnis der Strahlungs- ,Remissions- und Absorptionsspektren nach dem Prinzip der Gleichungen nach Abb.15e durchgeführt werden können ((6)). Konstanz ist offensichtlich wichtig. Ein Objekt kann für den Monochromaten, der nur eine Art von Lichtsinneszelle besitzt je nach tageszeitlich wechselnder Beleuchtung vor seinem Hintergrund sichtbar oder unsichtbar sein, und wie das Beispiel zeigt, irreführend verändert erscheinen.
Farbkonstanz könnte in der Evolution unserer visuellen Fähigkeiten der ursprüngliche Selektionsvorteil für die Entwicklung verschiedener Zapfenarten gewesen sein. Die Aufgabe der Augen besteht darin, zuverlässige Information zu liefern. Ohne verschiedene Zapfenarten ist das auf unserem Planeten wegen seinen variablen Beleuchtungsspektren nicht möglich. Das Farbensehen erscheint im Rahmen dieser Spekulation nicht als Ursache oder treibende Kraft für die Entwicklung verschiedener Zapfenarten, sondern als willkommene zusätzliche Errungenschaft, die die Möglichkeiten der Wahrnehmung vermehrt.
Für manche Farbkonstanzleistungen ist möglicherweise gar keine aufwendige Verrechnung im Auge oder Gehirn notwendig. In Abb.16 war oben gezeigt worden, daß die Farbreize eines Farbenkreises auch nach ihrer Transformation zu Farborten im Rezeptorraum eine ringförmig geschlossene Figur bilden. In einem Versuch wurde geprüft, wie Farbpapiere bei verschiedenen Beleuchtungen nach der Ähnlichkeit geordnet werden. Der Versuch fand im simulierten Mittags- und Abendlicht des Labors statt. Die Versuchspersonen arrangierten bei verschiedenen Beleuchtungen genau die gleichen Farbenkreise. Für diese Aufgabe war die Farbkonstanz, d.h. Unabhängigkeit von der Beleuchtung, offensichtlich perfekt ((31)). Es wurden dann die Farborte im Rezeptorabsorptionsraum berechnet. Jedes Farbpapier hat eine Nummer, die in Abb.30 angegeben ist. Bei Abendlicht ergibt sich eine geschlossene Figur aus Farborten in der Nähe der L-Achse, bei Mittagslicht schwenkt sie zur S-Achse. Die Beleuchtungen sorgten dafür, daß die L-Zapfen beim Abend- und die S-Zapfen beim Mittagslicht von allen Farbpapieren mehr absorbierten. In beiden Fällen bleibt die ringförmige Figur und damit die Sequenz der Farben im Kreis nahezu gleich. Wenn die Instruktion "ordne nach der Ähnlichkeit" so durchgeführt wird, daß kleine Abstände im Rezeptorabsorptionsreiz große Ähnlichkeit bedeuten, dann wäre bei beiden Beleuchtungen dieselbe ringförmig geschlossene Folge von Farbpapieren zu erwarten, - auch dann, wenn die Papiere bei den beiden Beleuchtungen ganz verschieden ausgesehen hätten. Sie sahen tatsächlich verschieden aus. Trotzdem kam es zur gleichen Ordnung, d.h. die Wahrnehmungsaufgabe ergab perfekte Konstanz bei verschiedener Farbwahrnehmung. Man wird wohl auch von der üblichen Definition Abschied nehmen müssen, daß Farbkonstanz bedeute, "gleiche Farbwahrnehmung, trotz verschiedener Beleuchtungsspektren". "Erfüllung einer Aufgabe unabhängig vom Beleuchtungsspektrum" ist eine bessere Definition.
Wenn man die Versuchbedingungen beibehält, aber die Instruktion für die Versuchspersonen ändert, kann das Ergebnis vollständig anders ausfallen. Die Versuchspersonen sollten die Farbpapiere in einem anderen Experiment nicht nach ihrer Ähnlichkeit, sondern nach der subjektiv empfunden Helligkeit ordnen. Bei dieser Aufgabe war keine Spur von Konstanz nachweisbar. Die Reihenfolge fiel bei den verschiedenen Beleuchtungen vollständig verschieden aus. Es hätte sein können, daß der Versuch nicht funktioniert, weil die Aufgabe unzumutbar schwierig ist. Das war aber nicht der Fall, denn verschiedene Versuchspersonen und dieselben Versuchspersonen in verschiedenen Versuchssitzungen hatten übereinstimmende Ergebnisse. Diese ließen sich sogar quantitativ vorhersagen mit einer Berechnung, die jede Form von Konstanz ausschließt.
In der Abb.31 sind die Helligkeitsreihungen der Versuchspersonen (Ordinaten) den berechneten Reihungen (Abszissen) gegenübergestellt. Wenn die Versuchsreihungen mit den Vorhersagen übereinstimmen, müssen die Punkte für alle Papiere auf der Diagonalen liegen. Das sieht man in den drei Fällen in denen die richtigen Annahmen in die Berechnung eingesetzt wurden. Die anderen Kombinationen zeigen, daß man mit der falschen Anname über die spektrale Empfindlichkeit der beteiligten Nervenzellen keine brauchbaren Vorhersagen machen kann. Unterstellt wurde, daß die Helligkeits-Entscheidung in der sogenannten M-Bahn vom Auge zum Gehirn stattfindet. Diese hat, wie man schon lange weiß, je nach der mittleren Beleuchtungsstärke eine andere spektrale Empfindlichkeit, die photopische V(lambda) - Funktion im Tageslicht, die skotopische V´(lambda) -Funktion im beinahe ganz Dunklen und die sogenannte mesopische Empfindlichkeitsfunktion im mittleren Bereich. Die gute Übereinstimmung im Diagramm unten rechts (Versuch im Tageslicht / Vorhersage mit V(lambda)) hätte schon ausgereicht. Zur Sicherung wurden die Versuche aber auch noch im mesopischen und skotopischen Bereich wiederholt. Die Vorhersage mit der jeweils zugehörigen Empfindlichkeitskurve ist immer am besten. Daraus folgt, daß die M-Bahn für die Helligkeitsreihung verantwortlich ist. Das Ergebnis der Reihung nach Helligkeit ist quantitativ erklärbar und kommt ohne jede Kompensation der Beleuchtungsänderungen, d.h. ohne Konstanz, zustande. Bei der Instruktion "Ordne nach der Farbähnlichkeit" kam perfekte Konstanz heraus. Farb- und Helligkeitskonstanz gibt es offensichtlich nur für jeweils bestimmte Wahrnehmungsaufgaben.
Der beste Nachweis für Farbkonstanz wurde von Christa Neumeyer für Bienen und Goldfische erbracht (24). Die Abb.32 zeigt einen Goldfisch, der eine von vielen Farbmarken anschwimmt, weil er dort eine Belohnung erwartet. Er findet die Farbe immer wieder, auch wenn die Anordnung umgestellt wird. Dies gelingt auch, wenn sich die Beleuchtung ändert. In diesen Versuchen wurde die Beleuchtung so geändert, daß der Farbreiz, den eine Farbmarke bei einer Beleuchtung abstrahlte, bei der nächsten Beleuchtung von einem anderen Farbpapier ausging. Der Goldfisch blieb nach den Beleuchtungsänderungen nicht dem Farbreiz treu, sondern dem Farbpapier. Er erkennt dasselbe Farbpapier auch bei anderer Beleuchtung. Das ist eine eindeutige Farbkonstanzleistung. Der Mensch leistet dasselbe wie der Goldfisch und die Biene. Man kann ihn fragen, ob eigentlich die Farbmarken bei Beleuchtungsänderungen genau gleich aussehen. Das ist nicht der Fall, aber man ist in der Lage, dieselbe Farbmarke wieder zu finden. Darauf kommt es im Leben auch an, daß man die Gegenstände des Interesses erkennt - auch wenn sie wegen der Variabilität der Beleuchtung etwas anders aussehen.
Verschiedene Farbwahrnehmungen trotz gleicher Reize: Farbverarbeitung im Nervensystem
Der Schatten, den ein Baum auf den Schnee wirft, sieht manchmal nicht grau, sondern bläulich aus. Bei blauem Himmel und gelblicher Abendsonne ist nichts anderes zu erwarten, als daß der Schnee im Schatten das Licht des blauen Himmels reflektiert. Im übrigen Bereich entsteht nach den Regeln der Farbenmischung wegen des zusätzlichen gelblichen Sonnenlichtes die Farbe Weiß. Wenn das alles wäre, bräuchte man sich über farbige Schatten keine weitergehenden Gedanken zu machen. Goethe erkannte aber, daß diese Erklärung kaum jemals ausreicht.Gleiche Farbwahrnehmungen trotz variabler Reize: Helligkeits- und Farbkonstanz
Die Aufgabe der Sinnesorgane besteht darin, zuverlässige Information über die Umwelt zu liefern. Auf einem rotierenden Planeten ändert sich aber die Beleuchtungsstärke mit dem Wechsel von Tag und Nacht. Darum müssen die Augen ihre Empfindlichkeit anpassen können, was auf vielerlei Weise geschieht (Pupillengröße, Adaptationsvorgänge = Empfindlichkeitsänderungen der photochemischen Vorgänge, neuronale Hemmung u.a., siehe (4)). Darüber hinaus nutzt das visuelle System für den Sehprozess den Kontrast. Es kommt beim Sehen weniger auf die Leuchtdichte als auf das Verhältnis der Leuchtdichten an benachbarten Orten an. Dieses Verhältnis ist von der absoluten Beleuchtungsstärke unabhängig. Darum kann man im Mond- und Sonnenlicht Zeitung lesen. Das weiße Papier reflektiert immer ungefähr 5mal so viel wie die schwarzen Buchstaben. Helmholtz (17) zeigte schon 1871, daß eine selektiv angestrahlte schwarze Scheibe in sonst unbeleuchteter Umgebung wie eine weiße oder graue Fläche aussehen kann. Diese Beobachtung wurde später unter dem Namen Gelbsches Phänomen (13) bekannt. Die Helligkeitskonstanz fehlt somit bei einzelnen Reizen. Sie hängt vom Kontrast zwischen benachbarten Reizen ab. Hält man vor die angestrahlte schwarze Scheibe ein Stückchen weißes Papier, so erkennt man sofort, daß die Scheibe schwarz und das Papier weiß ist. Je mehr Kontraste im visuellen Feld geboten werden, desto besser die Helligkeitskonstanz. Auge und Gehirn sind so entwickelt, daß unter natürlichen Bedingungen Helligkeitskonstanz trotz variabler Beleuchtungsstärke zustande kommt.Schluß
Ich nehme kurz den roten Faden auf: Nach dem Gesagten sieht man, daß die Wahrnehmung der Farben und ihre Erklärung mit der zugehörigen Physik und Neurobiologie bis hinab zur Molekulargenetik und Hirnforschung eng verbunden ist. Die Gebiete stehen sich nicht fremd gegenüber. Die Erklärungen gelten vielmehr durchgängig. Das ist im Prinzip das, was Goethe wollte. Als letzten Grund der Erkenntnis sah er die Phänomene an. Fortschritt der Wissenschaft, so dachte er, kann nur in einem vertieften Verständnis der Phänomene bestehen. Die wissenschaftlichen Disziplinen dürfen sich nicht von dem Grund dessen, was man erklären will, ablösen. Dies geschieht aber nach Goethe, wenn die wissenschaftliche Behandlung auf eine schmale, zugunsten exakter Meßbarkeit eingeengte Basis reduziert wird. Das führt zum Auseinanderbrechen der Einsichten (30). Die neurophysiologischen, physikalischen, psychologischen und molekularbiologischen Forschungen führten nun, wie sie sehen, zu einer neuen, überraschenden Einsicht. Durch die naturwissenschaftliche Forschung sind diese verschiedenen Wissenschaften wieder eng aneinander gerückt. Wir schließen von ästhetischen Urteilen über Farbänlichkeit auf den Genbestand und können aus der trichromatichen Theorie vorhersagen, welche Farben gleich aussehen und welche in den Farbsystemen benachbart sein müssen. Ein Tropfen Blut genügt, um die Gene zu analysieren, die bestimmen, wie wir die Farben sehen! Das ist wie die Erfüllung des Wunschtraums Goethescher Phänomenologie.
Literaturverzeichnis
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